Bei einer Fortbildung zum Babyshiatsu kam das Gespräch auf ein sehr interessantes Thema. Es gibt Forschungen dazu, dass Neoprenanzüge erfolgreich eingesetzt werden bei der Behandlung von Essstörungen.
Der Druck/ die Berührung über die Tastrezeptoren hat Einfluss auf die Tiefenwahrnehmung. So kam der Bezug über unsere Fortbildung zustande. Die Tiefenwahrnehmung ist in vielerlei Hinsicht wichtig.
Ein kleiner Einblick in die Neopren-Idee
Der Psychologe Martin Grunwald vom Haptik-Forschungslabor der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig sagt: „Die Betroffenen wissen rational oft, dass sie zu dünn und im medizinischen Sinn untergewichtig sind, nur können sie dieses Wissen nicht auf sich selbst übertragen.“ Der Psychologe hat deshalb eine neue Form der Therapie entwickelt: Mit maßgefertigten Neoprenanzügen stimuliert er den Tastsinn der Patienten und ermöglicht ihnen die Korrektur der Körperwahrnehmung. „Durch den Druck, den das enge Kleidungsstück auf die Haut und die Gelenke ausübt, lernt das Gehirn, den Körper wieder realer wahrzunehmen.“ Der Ansatz ist ungewöhnlich, aber erfolgsvorsprechend und lohnenswert.
Weitgehend gesichert ist, dass sich das Körperschema allein über die Sprache nicht erreichen lässt. Es bringt nichts, Magersüchtige nur verbal auf ihre Unterernährung hinzuweisen. Stattdessen wird eine Intensivbehandlung mit taktilen Reizen empfohlen, um dem Tastsinnsystem auf die Sprünge zu helfen. Viele Patientinnen haben bereits alles erlebt, was die Psychiatrie zu bieten hat. Von starken Antidepressiva bis hin zu Zwangsernährung. Und nicht wenige Betroffene sagen, dass ihnen nur die Körperpsychotherapie etwas bringt. Regelmäßige taktile Stimulation durch Hinweisreize – etwa ein Stofftuch, dass eng um den Bauch geschlungen wird – oder eben Neoprenanzügen. Dadurch wird der ganze Körper taktil stimuliert. Während sich Patient*innen darin bewegen, erhält das Gehirn besonders klare Signale, wo die Grenzen des eigenen Körpers verlaufen – und so kann nach und nach ein realistischeres Körperschema entstehen. (Grunewald)
Auch Gabriele Riess (Körpertherapeutin) in Berlin arbeitet mit den Neoprenanzügen. Sie arbeitet auch mit Magersüchtigen. Die Therapie folgt einem gestuften Programm. Anfänglich wird mit einer Decke gearbeitet, die den Betroffenen für ein paar Stunden straff um den Bauch gewickelt wird. Wer damit gute Erfahrungen macht, bekommt nach ein bis zwei Wochen den persönlichen Neoprenanzug. Danach folgen sechs Wochen, in denen die Jugendlichen das Kleidungsstück mindestens dreimal am Tag für eine Stunde tragen. Danach gibt es eine Entwöhnungsphase, begleitet von Physio- und Ergotherapie.
Dass sich das Körperbild von Menschen mit Magersucht durch Körpertherapien beeinflussen lässt, erforscht auch der Hirnforscher Prof. Boris Suchan (Ruhruniversiät Bochum) zusammen mit Wissenschaftlern von der Universität Osnabrück und von der Uni Witten/ Herdecke.
Im Kernspintomografen entdeckten die Forscher, dass bei Magersüchtigen bestimmte Hirnregionen untereinander weniger Verbindungen haben (besonders die Regionen, die für die visuelle Verarbeitung von Körperbildern zuständig sind).
Das Ergebnis: Je schwächer diese neuronale Vernetzung ausgeprägt ist, umso dicker schätzen sich die Betroffenen ein. Bereits eine zehnstündige Körperbildtherapie erhöht nachweislich die Aktivität in mindestens einer der betroffenen Hirnregionen (Studie der Universität Osnabrück, Prof Psych/ Psychotherapeutin Silja Vocks).
Einen ähnlichen Effekt erhofft man sich auch durch die Behandlung mit Neoprenanzügen. Dass der Ansatz Wirkung zeigen könnte, zeigt die bisherige Resonanz der Patienten. Rund 80 Prozent der Behandelten fühlten sich durch den Neoprenanzug deutlich besser.
Auch am Universitätsklinikum Salzburg gibt es Beobachtungen dazu. Der Professor für Kinderpsychiatrie Leonhard Thun-Hohenstein hat dort bei seinen Patient*innen eine „nachweisliche Verbesserung der Körperwahrnehmung“ festgestellt.
Grund dafür, dass sich die Therapie bis dato nicht wirklich durchgesetzt hat, ist wohl neben der Studienlage die Bürokratie im Umgang mit den Kostenträgern, sowie die Kosten (rund 200 Euro kostet eine Maßanfertigung) selbst.
Spannende Therapien – spannende Wege. Es lohnt sich wachsam und neugierig zu bleiben!
Quellen: www.zdf.de, www.aerztezeitung.de, www.aargauerzeitung.ch, Gabriele Riess